Interview mit Julia Löw

Heute habe ich wieder eine sehr spannende Interviewgästin mitgebracht: Julia Loew von offbeatcreation. Julia und ich haben auf Instagram ein Live gemeinsam gemacht, das sehr gut angenommen wurde und in dem wir uns mit den Grundlagen für Deine Kollektionsentwicklung beschäftigt haben. Heute möchten wir noch genauer auf die einzelnen Schritte eingehen und Dir Chancen, aber auch mögliche Stolpersteine aufzeigen.

Blog Interview Julia Löw

Julia, schön, dass Du da bist! Vielleicht stellst Du Dich als allererstes einmal kurz vor.

Hallo, Julia Loew ist mein Name. Ich bin Modedesignerin und schon seit vielen Jahren freiberuflich tätig. Meine Lieblingsbeschäftigung ist es, kleine Labels dabei zu unterstützen, die perfekten Unterlagen für ihre Kollektion zu haben. So bin ich auch bei Judith gelandet – oder Judith bei mir.

Das ist tatsächlich schon ein Jahr her, seitdem stehen wir in mehr oder minder engem Austausch und kooperieren viel miteinander. Meine Kundinnen aus der Beratung brauchen auch häufig Tech-Packs, also Produktionsunterlagen für die Fertigung, und da ist Julia immer meine Ansprechpartnerin. Sie empfehle ich gerne weiter, weil sie einen großartigen Job macht – das durfte ich schon bei vielen Kundinnen feststellen!

Heute geht es darum: Was sind die wirklich wichtigen Grundlagen, wenn Du Deine Kollektion entwickelst? Dieser Beitrag ist dann sicherlich besonders hilfreich für Dich, wenn Du gerade dabei bist, eine neue Kollektion zu entwickeln oder gar nicht aus der Branche kommst und gerne wissen möchtest, wie dieser Prozess eigentlich funktioniert und auf welche Stolpersteine Du achten darfst.

Wir sind beide Modedesignerinnen – auch ich habe ursprünglich Modedesign gelernt – und deshalb freuen wir uns total darauf, heute in den Design- und Produktentwicklungsprozess eintauchen zu können und Dich mitzunehmen. Ich merke in der Kundenarbeit immer wieder, das dies ein Arbeitsschritt ist, der vielen Kundinnen sehr viel Spaß macht, weil es ein kreativer Prozess ist, oder Julia?

Ja, es macht wahnsinnig viel Spaß, man sollte aber strukturiert vorgehen, weil man sich sonst verzettelt – vor allem, wenn man noch nicht so viel Erfahrung damit hat, Kollektionen zu entwickeln. Kreativ ist immer super, aber wir müssen natürlich auch unser Ziel im Hinterkopf behalten und schauen, dass wir uns fokussieren.

Definitiv! Was ist mein allererster Schritt, wenn ich Gründerin oder Label-Inhaberin bin und eine neue Kollektion erstellen möchte? Meistens geistern irgendwelche Ideen für irgendwelche Produkte im Kopf herum, alles ist noch ein bisschen diffus und man weiß noch nicht, wie man da rangehen soll. Womit kann man starten?

Als Modedesigner startet man ganz klassisch damit, dass man einen Research macht. Man schaut sich also an: Was gibt es draußen auf dem Markt? Wenn es sich anbietet, geht man auf Messen, aber auch im kleinen Stil kannst Du das super schon alleine machen. Du kannst sagen: "Ich schau mich einfach mal um! Ich gehe in meiner oder in der nächstgrößeren Stadt in die Läden und schaue mir an, was es dort gibt und welche Produkte auf dem Markt sind.“ Sicher achtet man verstärkt auf sein Segment – wenn man Damenmode macht, ist man dort unterwegs, bei Kindermode schaut man natürlich in anderen Läden.

Marktrecherche durch die Läden

Ich empfehle immer, online und stationär zu schauen, also nicht nur zu googeln, denn das ist oftmals sehr abstrakt. Wenn man in die Läden geht, kann man viel mehr sehen. Man kann die Farben sehen, die Materialen anfassen und ein Gespür dafür kriegen, was gerade in den Kollektion und auf dem Markt passiert. Ich würde immer darauf achten, nicht nur in Monolabel-Stores, sondern auch in Multilabel-Stores zu schauen. Dort kann man ein paar kleinere Labels entdecken, die normalerweise noch nicht in eigenen Läden vertreten sind. Dann würde ich unbedingt auf Materialien achten und die Preisstruktur im Blick behalten.

Und mein Spezialtipp: Mach Dir Notizen! Nimm etwas zu schreiben mit, und mit dem Handy kannst Du Fotos machen, wenn Du etwas Besonderes siehst. Einfach damit Du hinterher für Dich dokumentiert hast, was Du gesehen hast. Das unterschätzt man nämlich am Anfang, weil man denkt: „Ach, das kann ich mir alles merken!“ Aber dann sitzt man hinterher da und versucht sich zu erinnern: „Mensch, was war das? Ich habe sowas Tolles gesehen!“ Dann ist es super, wenn man das dokumentiert hat.

Wie wir im Live gesagt haben, geht es im Designprozess auch immer stark um das Thema Fokus. Fokus bedeutet auch, dass man am Ende Ideen aussortieren muss. Und deshalb ist es meiner Meinung nach so wichtig, die Ideen festzuhalten – damit man vielleicht auch in späteren Kollektionen darauf zurückgreifen kann. Gerade wenn Du am Anfang stehst, ist es häufig so, dass Du Dir erstmal Gedanken machen musst über einzelne Produkte. Vielleicht möchtest Du auch generell wissen, was Dein Markt hergibt. Dann ist es total sinnvoll, die Ideen abzuspeichern.

Noch ein Tipp von mir zum Unterschied zwischen Online- und Offline-Recherche: Oftmals gibt große Unterschiede im Sortiment, d.h. es werden online andere Marken verkauft als offline, weil sich die Verfügbarkeiten der Labels auch für die Einkäufer unterscheiden und man auch online bestimmte Marken gar nicht so stark findet wie offline.

Und wie Du weißt, schlägt mein Herz für den Vertrieb. Daher mein zweiter Tipp: Schnappe Dir einen Verkäufer! Diejenigen, die schon lange in einem Laden arbeiten, gerade auch in kleineren Boutiquen, sind meistens eng am Inhaber dran. Wenn Du an einem Tag unterwegs bist, der schon in Richtung Wochenende geht, an dem der Händler noch nicht so viel zu tun hat, kannst Du Dich vielleicht sogar mit dem Inhaber persönlich austauschen. Wenn Du die Idee hast, Damenhosen zu verkaufen, dann kannst Du den Händler fragen: Was fällt ihm auf? Welche Hosen fehlen noch auf dem Markt? Was ist ihm besonders wichtig? Davon wirst du später extrem profitieren!

Die meisten Händler und Vertriebler „sabbeln“ extrem gerne, deshalb macht es großen Spaß, sich mit ihnen auszutauschen. Später kann man dann Bezug auf das Gespräch nehmen, eine Karte oder ein kleines Präsent schicken und sich für das Gespräch bedanken. Ich sage Dir: So knüpft man langfristige Beziehungen!

Liebe Julia, im ersten Schritt haben wir uns nun Gedanken über das Thema „Market Research“ gemacht. Vielleicht ist es mein Wunsch, eine sportive Damenhose in Anschlussgrößen zu kreieren. Was ist dann der zweite Schritt? Was kann ich tun, um konkret zu werden?

Wenn ich mir einen Überblick verschafft und eine Richtung für mich gefunden habe, dann macht es auf jeden Fall Sinn, sich Notizen oder Skizzen zu machen, das kommt auf die individuellen Fähigkeiten an. Es ist absolut in Ordnung, Fotos von anderen Kleidungsstücken zu nehmen und sich zu notieren, was die Änderungen sein müssen und was man verbessern kann. Irgendwie bringst Du also Deine Produktidee auf Papier.

"Was ist das Besondere an meiner Idee, an meinem Produkt?"

Es macht auch Sinn, dass Du Dir überlegst: "Was ist das Besondere an meiner Idee, an meinem Produkt?“ Das wird im Verkauf und in der Kommunikation wichtig sein. Und als Input von mir: Du musst das Ei des Kolumbus nicht neu erfinden. Setz Dich nicht wahnsinnig unter Druck! Das, was Du bringst, soll der Kunde auch verstehen. Wenn es total abgehoben ist, versteht es kein Kunde, und er soll es benötigen, gebrauchen, kaufen wollen. Also mach Dir keinen Stress! Es ist in Ordnung, wenn das Produkt bereits vorhaben ist und Du es einfach nur verbesserst. Gib dem Ganzen Deine individuelle Note und drücke ihm Deinen Stempel. Das ist absolut legitim und kann auch gut funktionieren.

Absolut, das kann in Zahlen und vertriebsseitig gut funktionieren. Ich merke immer wieder bei Kundinnen von mir, dass sie denken, dass sie so viel neu machen müssten. Doch der Erfolg hängt immer auch mit dem USP zusammen, und dieser ist eine Kombination aus unterschiedlichen Aspekten. Dazu zählen Deine Brand und die Story, für die Du stehst.

Im Live hatte ich als Beispiel Ooia genannt. Die Marke kannst Du Dir gerne auf Instagram anschauen (@its.me.ooia). Ich finde, als User kann ich gut greifen, wofür diese Marke steht, welche Werte sie verkörpert, welche Themen dem Team am Herzen liegen. Ooia setzt sich auch inhaltlich mit vielen Punkten auseinander, was man früher nicht unbedingt von einer Modemarke erwartet hätte. Das finde ich richtig gut. Das ist natürlich nur ein Beispiel, derer gibt es noch andere Marken.

Kommen wir zum nächsten Schritt, der nun wichtig ist: Wenn Du das Thema Damenhosen bespielen möchtest und erste Produktideen gesammelt hast – Damenhose, eher sportiv, in Anschlussgrößen –, musst Du Dir auch überlegen: An wen willst Du diese später verkaufen? Da kommen wir zu einem ganz wichtigen Punkt, der aus meiner Sicht total unterschätzt und gerne auch vernachlässigt wird: Deine Zielgruppe. Bei dem genannten Genre geht es dabei nicht nur um Damen zwischen 29 und 79 Jahren. Da musst Du noch ein bisschen tiefer einstiegen. Julia, hast Du Ideen, wie man seine Zielgruppe konkreter definieren kann? Wie man herausfinden kann, wie das Feedback der Zielgruppe für das Produkt ist?

Definitiv macht es Sinn zu schauen: „Was gibt es in meinem Umfeld? Welche Marken sind da, die sowas schon verkaufen?“ Dann kannst Du in einen Laden gehen und Dich umschauen. Was sind das für Menschen, die dort Kunden sind? Um ein Gespür zu kriegen, was sie für Bedürfnisse haben und was ihnen wichtig ist. Es ist ganz spannend, sie zu beobachten: Welche Teile nehmen sie? Welche probieren sie an? Welche hängen sie zurück? Welche gehen an die Kasse? Da kommt der Tipp von Dir, Judith, zum Tragen, dass man sich einen Verkäufer schnappt und fragt: „Welche Hosen verkauft Ihr gerade besonders gut?“

Definiere Deine Zielgruppe möglichst präzise

Aber die Zielgruppe solltest Du möglichst präzise definieren. Was ist das größte Problem oder der Wunsch Deiner idealen Kundin? Versuche, ihr dabei zu helfen, ihr Problem zu lösen. Viele Anfänger machen den Fehler, dass sie, wenn sie ein neues Produkt entwickeln, sich ein Feedback vom gesamten Freundes- und Bekanntenkreis holen. Das ist ein typischer Stolperstein! Es mag zwar nett sein, aber Du kannst nicht wirklich einschätzen, wie qualitativ gut das Feedback ist, das Du da bekommst.

Schau, wer von den Personen, die Du kennst, der Zielgruppe entspricht oder in die Zielgruppe passt. Die kannst Du Dir schnappen, interviewen und vielleicht eine Hose anprobieren lassen, wenn Du schon soweit bist. Aber es macht keinen Sinn, jemanden zu befragen, der weit ab von der Zielgruppe ist. Wenn Du Anschlussgrößen machst, brauchst Du nicht die 16-jährige Freundin von Deinem Sohn befragen, das ist nicht zielführend!

Ich gebe meinen Kundinnen gerne den Rat: Das, was Du Dir relativ schnell als Unternehmerin aneignen solltet, ist eine Art „Sieb“. Gerade in der Mode, wo jeder denkt, er hätte Ahnung von Trends und meint, mitreden zu können. Das, was Du als Unternehmerin tun darfst, ist Dir ein Sieb zuzulegen, und das solltest Du am Anfang Deiner unternehmerischen Laufbahn tun. Damit Du anhand von bestimmten Kriterien herausfindest: „Wie relevant ist das Feedback für mich und welche Beweggründe des anderen stecken dahinter, mir dieses Feedback zu geben?“

Ganz ehrlich: Dein Vater oder Dein Partner will Dich vielleicht nur beschützen, weil die Selbstständigkeit aus seiner Sicht so unsicher ist. Deine Freundin oder Deine Mutter will Dich eher bestärken und sagen: „Hey, Du machst das super, ich stehe voll auf Deiner Seite!“ Und dann wird sie Dir ein positiveres Feedback geben.

Deshalb ist es so wichtig – egal ob es um Deine nächste Kollektion oder strategische Schritte geht – Dir ganz genau zu überlegen: Was sind die Beweggründe von demjenigen, der Dir das Feedback gibt? So kannst Du einen inneren Kompass entwickeln, der Dich zukünftig bei all Deinen unternehmerischen Schritten leiten wird.

Um nochmal an Deinen Punkt anzuknüpfen, Julia: Anhand der Überlegung, welches Problem das größte Deiner Zielgruppe ist, kannst Du mehr über das Lebensumfeld eben dieser herausfinden. Ich sage immer zu meinen Beratungskundinnen: „Wenn Du mir die Zielgruppe so erklären kannst, dass ich ein ganz konkretes Bild vor Augen habe, dann hast Du die Zielgruppe gut erklärt. Wenn nicht, hake ich solange nach, bis ich dieses Foto im Kopf habe.“ Dazu gehört auch, dass ich mir vorstellen möchte: Wie wohnt die Person? Wie lebt sie? Was sind Themen, die sie alltäglich beschäftigen? Was macht sie den lieben langen Tag? Aber natürlich auch harte demographische Faktoren. Und wenn Du eine klare Vorstellung von Deiner Zielgruppe hast, dann kann es auch für Deine Kollektion in den nächsten Schritt gehen, oder Julia?

Ja, definitiv! Wir fangen dann ganz konkret mit der Produktentwicklung für die Kollektion an. Du überlegst Dir: „Wie viele Teile mache ich in meine Kollektion? Und welche Teile sollen da reinkommen?“ Im Idealfall schaust Du, dass Du nicht nur 2-3 Teile hast, also schon eine gewisse Menge abbildest, aber auch zu viele Modelle machst. Wenn man am Anfang steht, kann das von der Abwicklung und Organisation her überfordern, und die Produktentwicklung ist zu aufwändig. Meine Empfehlung wäre es, zwischen 5 und 10 Modellen auszuwählen und zu schauen, dass das Ganze eine schöne Aussage hat.

Meistens läuft es am besten, wenn man ein Kollektionsthema wählt, beispielsweise eine Sommerkollektion mit einem tropischen Thema, einem nautischen Thema, also etwas Maritimes, oder Sachen mit Meerestieren oder Muscheln. Das Thema ist immer stark von Deinem persönlichen Geschmack, Deiner Idee und Deinem Konzept abhängig, und es gibt viele Möglichkeiten, die man aufgreifen und grafisch aufbereiten kann. An diesem Thema arbeitest Du dann Deine Kollektion aus, und es hilft Dir dabei, einen roten Faden zu haben, damit Du nicht vom Weg abkommst und damit das Ganze am Schluss wie aus einem Guss aussieht.

Splitte Deine Ideen

Mein Tipp: Nicht alle Ideen, die Du hast, musst Du in diese Kollektion packen. Als Modedesignerin ist mir klar – ich mache schon seit vielen Jahren Kollektionen –, dass es jede Saison eine neue Kollektion gibt. Das wird auch für Dich als Unternehmerin gelten. Vielleicht machst Du irgendwann sogar mal zwei Kollektionen pro Saison. Hebe Dir daher Deine Ideen auf – diese werden nicht schlecht – und fokussiere Dich in der Kollektion auf bestimmte Ideen, die zum Thema passen und die jetzt gerade, momentan wichtig und prägnant sind. Die anderen schiebt man in die nächste Saison, da kann man ganz gelassen mit umgehen. Du musst nicht das Gefühl haben, alles in diese allererste Saison packen zu müssen.

Und wenn Du sagst: „So eine spezielle Jacke wäre noch toll, aber in der ersten Saison kriege ich das vom Material und der Musterung her nicht hin.“, dann ist das Produkt vielleicht etwas für die nächste oder übernächste Saison, wenn sich alles gut eingespielt hat. Wenn alles läuft. Wenn Du die Prozesse verstehst. Dann kannst Du Dich auch um ein etwas aufwändigeres oder komplexeres Kleidungsstück bemühen.

Stichwort Kollektionsumfang: Stelle Dir das Thema aus Sicht des Endverbrauchers und Händlers vor. Sie sollen später eine Kaufentscheidung treffen, und das machen sie entweder stationär, wo sie die Kollektion sehen, auf einer Messe oder online. Deshalb ist es so wichtig, dass die Kollektion ein stimmiges Gesamtbild ergibt. Stell Dir vor, alles wirke so, als ob es gar nicht zusammenpassen würde. Dann ist es für den Konsumenten überhaupt nicht verständlich.

Ein Tipp von Dir aus dem Live, den ich auch super fand, Julia: Es geht am Ende auch darum, Outfits zu kombinieren. Mamellie, ein Label für Kindermode, hat es wirklich sehr gut hinbekommen, dass die Teile untereinander kombinierfähig sind. Die Stoffe wiederholen sich, es werden viele Jerseys und typische Kindermaterialen verwendet, und auch Prints. Aber nicht fünf Prints pro Kollektion, maximal gibt es ein Muster in zwei Farbvarianten. Und diese passen wiederum zu jeder anderen Farbe aus der Kollektion – und das ergibt eine Schlüssigkeit.

Mein Rat: Hänge Dir die Kollektionsteile in Gedanken auf eine Kleiderstange, wenn es Hängeware ist, oder wenn es Accessoires sind – beispielsweise Haarreifen – stelle Dir einen Präsentationstisch im Geschäft vor. Nun überlege Dir, wie das aussehen könnte. Das macht sowohl Sinn von den Modellen, die Du einzeln anbietest, als auch von der Farbkonstellation her. Je besser Du Dir das vorstellen kannst und mit Fotos oder Skizzen visualisierst, umso mehr hilft es Dir.

Bedenke: Der Händler kauft in der Regel nicht nur Einzelteile. Gerade wenn Du eine Kollektion hast, wählt er wahrscheinlich mehrere Teile aus oder kauft gleich die gesamte Kollektion. Und dann möchte er die Teile auch zusammen präsentieren. Natürlich hängt er ein Teil vorne auf die Puppe, aber in der Regel hängt alles beieinander, daher muss es auch auf dem Bügel tipptopp zusammen aussehen und zum Reingreifen und Anschauen anregen. Dann hast Du eine stimmige Kollektion, und das ist der Hintergrund, weshalb es überhaupt diese Notwendigkeit der Zusammengehörigkeit der Kollektion gibt, oder?

Das ist total wichtig! Wenn ich technische Zeichnungen anfertige, biete ich meinen Kunden an, dass ich diese in den ausgewählten Farben koloriere. Es ist eine schöne Sache, wenn man alles zusammen auf eine Seite legt und gemeinsam betrachtet. Manchmal stellt man dann fest: „Komisch, zu dem Oberteil habe ich keine Hose.“ Oder: „Mensch, ich müsste eigentlich in der Farbe noch ein Kleidungsstück aufmachen.“

Lege Dir eine Kollektionsplan an

Manchmal hat man in der Musterung oder Produktion stoffseitig sowie mengenmäßig gewisse Mindestmengen, die man produzieren muss. Und wenn ich sowieso von einem bestimmten Stoff eine gewisse Menge verbrauchen muss, bietet es sich natürlich an, dass ich diesen auf zwei oder drei Kleidungsstücke verteile und nicht nur ein Stück in diesem Material mache. Und schon habe ich wieder den Zusammenhalt in der Kollektion! Vielleicht besteht auch die Möglichkeit, den Stoff in zwei Farben zu kaufen, sodass ich drei Teile in jeweils zwei Farben aufmachen kann – so wird eine Kollektion draus.

Ich würde immer empfehlen, dass Du Dir einen Kollektionsplan anlegst und Dir schriftlich, mit Bildern oder mit Beschreibungen einen Überblick verschaffst: „Welche Modelle habe ich, aus welchen Materialen und in welchen Farben?“ So haben alle, die später an dem Entwicklungsprozess beteiligt sind, einen guten Überblick.

Wenn Du nach außen trittst, solltest Du verstehen und verständlich machen können, welche Teile Deine Kollektion umfasst, und wissen: Wie viele Modelle gibt es aus braunem Musselin? Sodass jeder, der Dir gegenübersitzt – egal ob Lieferant, Produzent, Julia als Erstellerin der Produktionsunterlagen, Schnittdirektrice oder ich als Beraterin – direkt versteht, was Dein Plan ist. So kann Dir besser geholfen werden und die Produkte werden so, wie Du es Dir vorstellst.

Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, gerade wenn Du neu startest. Denn die meisten, die einfach in das Thema reinstolpern, haben irgendeine Idee im Kopf, ein Sammelsurium und ein Gedankenchaos. Sie treten an die Lieferanten und Produzenten heran und haben nicht auf den Punkt formuliert, was sie eigentlich wollen. Daher bin ich persönlich ein Fan von einer klaren Liste, beispielsweise in Excel. Dort kann man auch Bilder von den einzelnen Modellen einfügen und auflisten, wie viele Hosen, welche Modelle, welche Farben, welche Stoffqualitäten es gibt. Dann hast Du einen Plan, den Du an die Wand hängen und schauen kannst: „Ok, ich habe einen schwarzen Tencel, der passt zu diesem und jenem Modell.“ So kannst Du besser und effizienter Entscheidungen treffen.

Auch das habe ich im Live gesagt: Es ist so wichtig, dass Du einen gewissen Pragmatismus mitbringst. Deshalb arbeite ich so gerne mit Julia zusammen. Sie ist auch niemand, der monatelang um die Produktentwicklung herumgeistert. Es gibt Wettbewerber von mir, die sagen, man brauche 1,5 Jahre für die Produktentwicklung. Ich persönlich finde das ehrlich gesagt völlig überzogen!

Natürlich braucht es seine Zeit, und man muss eine gewisse Gedankenkapazität reinstecken, aber man kann das definitiv schneller machen, auch parallel zu einem Vollzeitjob und einer Familie. Einfach indem man die richtigen Schritte nacheinander macht. Oder Julia, wie siehst Du das? Braucht man 1,5 Jahre?

Nein, das braucht man definitiv nicht. Ich glaube, das ist ein Irrweg. Wenn man eine Haute Couture Kollektion macht und einen unglaublichen finanziellen Background hat, dann ist es vielleicht möglich, 1,5 Jahre vor sich hin zu puzzeln. Aber für ein kleines Label, das neu auf den Markt kommt, ist das nicht zielführend. Es macht viel mehr Sinn, eine Kollektion zu entwickeln, die einen etwas kleineren Umfang hat und mit der man relativ zügig auf den Markt gehen kann, sobald man alles durchdacht und ausgearbeitet hat. Um eine Rückmeldung zu bekommen und einfach einzusteigen. Ich kann 1,5 Jahre vor mich hin arbeiten, aber kriege keine Rückmeldung und weiß am Ende nicht: „Hat sich die ganze Arbeit, die ich reingesteckt habe, überhaupt gelohnt?“ Dann starte ich lieber etwas kleiner, erhalte gutes Feedback und kann dieses für die nächste Saison schon einbauen und mich weiterentwickeln. Das ist wesentlich zielführender.

Nehme den Entwicklungsprozess an

An der Stelle auch nochmal der Hinweis: Die erste Kollektion ist weder von den Designs noch von der Farbauswahl, der Materialauswahl oder vom Schnitt her perfekt. Ich kann sowohl aus eigener Erfahrung als auch aus der Erfahrung mit dezidierten Kundinnen sagen, dass alles ein Entwicklungsprozess ist. Das gilt für die unternehmerische Reise, aber auch für die Kollektion. Natürlich sollte Deine Kollektion Deinem persönlichen Qualitätsanspruch entsprechen, aber doktere nicht so lange herum, bis alles total perfekt ist, sondern starte bitte. Fokussiere Dich und versuche, die wesentlichen Qualitätsmerkmale Deiner Kollektion abzustecken, aber Du wirst dich garantiert verbessern, davon bin ich fest überzeugt.

Du siehst, es geht um Pragmatismus und Fokus – und dann ran den Händler! Hier auch der Hinweis: Dein Zeiteinsatz teilt sich auf in 50 % Produktentwicklung und 50 % Verkaufen. Wie letzteres genau geht, erfährst Du auch auf meinem Instagram-Kanal @modekapitaen.

Long Story short: Am Ende dieses ganzen Prozesses hast Du optimalerweise einen fertigen Kollektionsplan. Wenn Du jetzt gerne wissen möchtest, wie es weitergeht, dann sind zwei Aspekte für Dich total wichtig:

Zum einen sind das die Kosten, gerade wenn Du gründest oder Deine erste Kollektion auf den Markt bringen möchtest. Ich empfehle Dir gerne meine Investitionsübersicht. Diese kannst Du Dir für 0 Euro herunterladen. Es handelt es um eine 27-seitige PDF, in der ich Dir aktuell aus 2022 alle Kosten beispielhaft aufgelistet habe, damit Du einen Überblick bekommt.

Zum anderen ist es wichtig, dass Du mit der Kollektion weiter vorwärts kommst. Und der nächste Schritt, der jetzt nach Deinen Ideen und Überlegungen ansteht, sind die Tech-Packs, die Produktionsunterlagen. Julia, wie läuft das genau ab und wo kannst Du an der Stelle unterstützen?

Ich habe Erfahrungen von der ersten Idee bis zum fertigen Produkt, d.h. wenn Du zu mir kommst, besprechen wir erstmal die Modelle und ich erstelle technische Zeichnungen von jedem Modell in Deiner Kollektion. Ich werde rückfragen: „Wo ist da die Absteppung? Wie wird das da verarbeitet?“ All diese Sachen sind wichtig! Wenn Du Dir noch nicht sicher bist, welche Materialien und Zutaten Du brauchst, kannst Du Unterstützung von Judith und ihrem Team oder von mir bekommen. Ich bin gerne beratend tätig, was die Material- und Farbauswahl angeht. Es gibt auch ein bestimmtes Farbsystem in der Mode, mit dem man arbeiten muss.

Wenn das alles fix ist, dann erstelle ich die technischen Unterlagen. Diese enthalten die technische Zeichnung, alle Angaben über Materialien, Zutaten, Namen, Größen usw., anhand derer ein Hersteller das Kleidungsstück fertigen kann. Es gibt noch den Zwischenschritt mit dem Schnitt, den darf man nicht vergessen! Es muss ein Schnitt für jedes Kleidungsstück erstellt werden, und dann kann ein Hersteller anhand dieser Unterlagen das Muster so erstellen, das es Deinen Vorstellungen entspricht. Je präziser und unmissverständlicher die Tech-Sheets erstellt werden, umso weniger Probleme gibt es bei der Produktentwicklung. Das ist auch für Dich das erste Ziel: Dass das Produkt so als Prototyp umgesetzt wird, wie Du Dir das vorstellst, und das möglichst wenige Änderungen und Anpassungen nötig sind. Das ist eine große Herausforderung, denn je mehr Freiheiten Du in Deinen Informationen lässt, desto mehr kann schiefgehen. Es gibt also besser keine Interpretationsspielräume, damit es am Ende gut funktioniert.

Da bist Du ein echter Vollprofi! Du hast ja auch schon ganz unterschiedliche Produkte für unsere Kunden gemacht, von Kinder- über Damen und Herrensachen, ebenso Accessoires. Von relativ angezogenen Produkten, die eher formeller sind, bis hin zu sportiven Artikeln. Ich habe zum einen die Perspektive der Beraterin. In dieser Funktion habe ich schon Unterlagen gesehen, die Du gemacht hast. Auf der anderen Seite bin ich seit dem 2. Quartal Gesellschafterin eine Produktionsstätte in der Nähe von Stuttgart, und auch da nehmen wir Deine Unterlagen als Grundlage für die Musterung und die Fertigung auf dem Tisch. Deine Qualität finde ich nach wie vor richtig gut, und Deine Unterlagen sind so, dass der Interpretationsspielraum für die Produktion nicht besteht, sondern dass man daraus eine klare Aussage erkennen kann.

Es gibt viele Designerinnen am Markt, da könnte man sich für viele entscheiden, aber was mir bei Dir gut gefallen hat: Das Preis-Leistungs-Verhältnis finde ich einfach fair, gerade wenn man ein Unternehmen hat, das nicht seit 50 Jahren am Markt etabliert ist, und dass Du nahbar bist. Als Kunde muss ich keine Angst davor haben, Fragen zu stellen.

Du hast eben von der Steppung gesprochen und gesagt, dass Du gegebenenfalls die Frage stellst: „Ist das eher eine große oder eine kleine Steppung?" Die meisten Anbieter fragen das nicht mal. Sie gehen von irgendwas aus und am Ende bist Du unzufrieden. Wenn ich als Kunde nicht weiß, ob ich die Steppung eher dicker oder dünner haben möchte, dann hilfst Du mir mit Deiner Branchen-Expertise sehr, weil Du mir sagen kannst, dass Du bei einer massiven Ballon-Outdoorjacke für Jungen eine dicke Absteppung unter bestimmten gestalterischen Aspekten empfehlen würdest, und bei einem filigranen Damenkleid, das an einer Stelle Teilungsnähte abgesteppt hat, eher einen feinen Stich empfehlen würdest. Das kannst Du auf alle Fälle anwenden. Das heißt, dass Du gerne Deine Meinung sagst, wenn Du gefragt wirst, und viele Tipps aus der Branche und Best Practices geben kannst?

Ja, das haben wir immer wieder. Wenn ich mit einer Kundin spreche und sie sagt, wie sie sich das Produkt vorstellt, dann möchte ich, dass sie am Ende gut zurecht kommt. Und wenn ich sehe, dass sie eine Bündchenware ausgewählt hat, die für das T-Shirt einfach zu dick ist, dann sage ich natürlich: „Schau Dir das nochmal an. Ich glaube, es ist besser, Du nimmst hier eine dünnere Ware.“ Da hat man als Anfang noch keine Erfahrungswerte, das ist auch ganz normal, wo sollen sie auch herkommen?

Dann ist es immer mal wieder so, dass mir etwas auffällt: „Hast Du schon daran gedacht? Und schau mal hier, da ist noch etwas abzuklären. Was ist bei dem Poloshirt? Da brauchst Du für den Kragen einen gestrickten Kragen, den kannst Du nicht einfach aus dem Piqué zuschneiden." Das gehört für mich schon dazu, und es ist ja allen damit geholfen, wenn wir am Ende ein schönes Produkt haben. Dann bin ich auch happy.

Ich kann da nur auch nochmal an Dich appellieren, dass Du so in dem späteren Prozess Fehler vermeidest. Und wenn Du gerne Kooperationspartnerinnen haben möchtest, die total aufeinander eingespielt sind, kannst Du mich gerne ansprechen. Als Modekapitän bieten wir Dir nicht nur Beratung, sondern können auch die meisten Teile der Wertschöpfungskette Deines Modeunternehmens abdecken. Egal ob es um die Tech-Packs geht – wir beide kooperieren eng mit einer Schnittdirektrice, die aus den Tech-Packs Schnitte erstellen kann – oder die Fertigung Deiner Teile in der Produktionsstätte in Deutschland, von der ich eben gesprochen habe.

Und wenn Du wissen willst, was Dich das am Ende kostet, lade Dir gerne die Investitionsübersicht herunter oder schreibe uns eine Mail oder eine Instagram-Nachricht an @modekapitaen oder @offbeatcreation. Julia, das war sicher nicht unser letztes Gespräch, oder?

Judith, es hat mir sehr viel Spaß gemacht, wie immer, wenn wir uns sehen. Wir sind einfach ein gutes Team und ich freue mich schon auf's nächste Mal!

Ich mich auch! Herzlichen Dank für das spannende Interview.

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